Einleitung: Das letzte Tabu im CQB brechen
In diesem letzten Teil unserer Artikelserie zu den ungeschriebenen Regeln im Close Quarters Battle (CQB) widmen wir uns einem hartnäckigen Mythos: dem unfehlbaren Point Man. Es ist ein Konzept, das tief in der Ausbildung vieler Einsatzkräfte verankert ist – und doch wird es der Realität dynamischer Einsatzlagen nicht gerecht. Dieser Artikel zeigt, warum der Point Man durchaus Fehler machen kann und warum es entscheidend ist, dieses Tabu zu durchbrechen.
Der Mythos des unfehlbaren Point Man
Die Regel, dass der Point Man nie falsch liegt, basiert auf einem einfachen Prinzip: Seine Bewegungsentscheidungen dürfen nicht in Frage gestellt werden. Diese Denkweise soll verhindern, dass das Team zögert oder sich widerspricht, insbesondere in Stresssituationen. Doch in der Praxis zeigt sich immer wieder, dass der Point Man – gerade weil er an vorderster Front steht – besonders anfällig für Fehler ist.
Fallstudie: Wenn der Point Man falsch liegt
Ein anschauliches Beispiel liefert ein europäisches SWAT-Team, das an einem Trainingsszenario mit mehreren Bedrohungen teilnahm. Während eines simulierten Angriffs bewegte sich der Point Man (Pman) auf eine wahrgenommene Bedrohung zu und ließ dabei fünf offene Türen unbeachtet.
Sein Wingman, der zweite Mann im Team, erkannte die Gefahr dieses Vorgehens und entschied sich bewusst dagegen, dem Pman zu folgen. Stattdessen blieb er zurück, um die offenen Türen zu sichern.
In der anschließenden Analyse (After Action Report) gab der Pman zu, dass seine Entscheidung auf einer instinktiven Reaktion beruhte und nicht auf rationaler Überlegung. Sein Fokus auf die vermeintliche Bedrohung führte zu einem Tunnelblick und einer gefährlichen Fixierung – ein klassisches Beispiel für die Grenzen des "Der Point Man ist nie falsch"-Prinzips.
Psychologische Mechanismen hinter der Fehlentscheidung
Der Vorfall verdeutlicht die Rolle von Stress und sensorischer Überlastung im CQB. Sobald das Gehirn Gefahr wahrnimmt, aktiviert es eine akute Stressreaktion, die auf automatische, oft unbewusste Verhaltensmuster zurückgreift. Dies kann zu Fixierungen führen, bei denen der Operator nicht mehr in der Lage ist, die Gesamtsituation zu erfassen und rationale Entscheidungen zu treffen.
Lösungsansätze: Teamarbeit statt blindem Vertrauen
1. Gegenseitige Kontrolle und Feedback
Statt den Point Man als unfehlbar zu betrachten, sollte ein System etabliert werden, das Feedback und Korrekturen von Teammitgliedern zulässt. Der Wingman spielt hierbei eine entscheidende Rolle als sekundärer Beobachter und Entscheidungsträger.
2. Reduzierung von Fixierungen durch Training
Simulationen mit realistischen Bedrohungen sollten gezielt auf die Vermeidung von Fixierungen ausgerichtet sein. Der Fokus liegt auf der Schulung der Fähigkeit, auch unter Stress flexibel zu bleiben und Situationen aus verschiedenen Blickwinkeln zu bewerten.
3. Anpassung von SOPs (Standard Operating Procedures)
Statische SOPs, die auf die bedingungslose Befolgung des Point Man setzen, müssen überdacht werden. Flexible SOPs, die Raum für situative Anpassungen lassen, erhöhen die Sicherheit und Effektivität.
Zusammenfassung: Der Mensch bleibt fehlbar
Der Point Man ist weder unfehlbar noch sollte er als solcher betrachtet werden. Fixierungen und sensorische Überlastungen sind menschliche Reaktionen, die in Stresssituationen unvermeidbar auftreten können. Ein realistisches Verständnis dieser Schwächen und die Etablierung von Mechanismen zur Fehlerkorrektur machen den Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg im CQB aus.
Fazit: Lernen aus Fehlern – das Ende eines Mythos
Der letzte Artikel dieser Serie fordert dazu auf, Dogmen zu hinterfragen und die Realität operativer Einsätze anzuerkennen. CQB erfordert keine starren Prinzipien, sondern flexible, durchdachte Ansätze. Der Point Man ist ein wichtiger Bestandteil jedes Teams – aber seine Entscheidungen sollten stets im Kontext des gesamten Einsatzes geprüft und ergänzt werden.
Ausblick: Praxisnahe Weiterentwicklung
Während diese Artikelserie zu den ungeschriebenen Regeln im CQB endet, ist die Entwicklung taktischer Konzepte ein fortlaufender Prozess. Die hier behandelten Prinzipien bieten eine Grundlage, die durch kontinuierliches Training, Tests und Anpassungen weiter verfeinert werden kann.
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